Der Preis der Sichtbarkeit
Der Preis der Sichtbarkeit

Der Preis der Sichtbarkeit

Sichtbarkeit ist immer wieder ein Thema unter uns Autoren. Sichtbarkeit bedeutet für uns, einen Roman auf einem Tisch in der Buchhandlung zu platzieren, ein gutes Verkaufsranking in den Online-Portalen, vielleicht sogar ein Platz in der Bestsellerliste. Sichtbarkeit bedeutet unter Umständen mediales Interesse – Blogger, Zeitungen. Möglicherweise sogar das Fernsehen. Sichtbarsein bedeutet gesehen werden. Und letztlich entscheidet die Sichtbarkeit über den Erfolg. Leider gibt es auch das Gegenteil.

Gestern war es mal wieder so weit – ich hatte meinen Frusttag. Einer dieser Tage, an denen es rechts, links, oben und unten gute Nachrichten hagelt („mein Agent hat angerufen, der Verlag will ein neues Exposé!“, „Vier Verlage bieten für meinen neuen Roman!“, „Mein Roman geht jetzt in die fünfte Auflage!“, „Die Medienabteilung des Rundfunks hat heute Kontakt zu mir aufgenommen – die wollen ein Interview mit mir machen!“). Und bei mir … Nix. Nada. Null. Niente. Das Telefon bleibt stumm. In der Mailbox nur ein paar Anfragen von befreundeten Kollegen, ob ich „mal schnell über den Text schauen kann, bevor die angeforderte Leseprobe an den Verlag geht“. Auf Facebook Likes für Katzenvideos. Dass ich auch etwas gepostet habe, ist wohl irgendwie untergegangen.

Tarnkappensyndrom.

Bin ich unsichtbar? Weiß überhaupt irgendjemand da draußen, dass ich auch Bücher schreibe? In solchen Situationen könnte ich schreien und wutschnaubend mit dem Baseballschläger in der Hand durch das Haus toben. Es tut mir weh. Es macht mich wütend. Es würgt mich. Und während ich den Tränen nahe mein Notebook beinahe aus dem Fenster geschmissen hätte, sagte ich mir: „Halt. Was hast du da vor? Du kannst nichts anderes als Schreiben.“ Als Ärztin bin ich so lange aus dem Job, dass ich eine Gefahr für meine Patienten darstellen würde. Und wer meinen Haushalt kennt weiß, dass auch ein Putzjob nicht wirklich infrage kommt. Abgesehen davon, dass ich VOM SCHREIBEN LEBE. Nicht nur finanziell. Meine ganze Existenz, mein Sein als Mensch, hängt daran. An diesem Job.

Aufgeben ist also keine Option. Was also tun? Offensichtlich muss ich etwas ändern, die Tarnkappe los und sichtbar werden. Aber was?

Tipp 1: wechsle die Agentur. Agent XY und Agentur YZ vertritt unendlich erfolgreiche Kollegen – und sei es nur, dass sie immer wieder fantastische Vorschüsse heraushandeln. Zufällig weiß ich, dass Agent XY ein knallharter Geschäftsmann ist, der bereits im Vorwege bei seinen Autoren die Themen auf die Marktgängigkeit abstimmt (schon mal vorab: Motorräder sind es nicht und Biker schon gar nicht). Und Agentur YZ hat neben den erfolgreichen Kollegen auch zahlreiche Karteileichen auf der Liste.

Tipp 2: Du brauchst dann eben ein Alleinstellungsmerkmal! Hah! Habe ich. Seriöse, fundiert recherchierte Romane über Biker gibt es so gut wie keine. Aber … siehe Tipp 1. Es sei denn, ich wäre ein tätowierter Kerl mit zwei Harleys in der Garage, der sich rühmen kann, die Szene zu kennen. Dann kaufen nämlich auch Männer solche Romane. Ich habe Tattoos, die Harleys in der Garage auch. Und meine Kontakte in und zur Szene sind lebhaft. Aber ich bin – und daran kann ich nun beim besten Willen nichts ändern – eine Frau. Dumm gelaufen.

Tipp 3: Dann solltest du eben etwas an deinem Auftreten, deiner Performance ändern. Färbe dir die Haare. Mach einen Rhetorik-Kurs. Arbeite an deiner Selbstdarstellung. Werde aggressiver. Zum Beispiel deine Rezensionen. Mach das nicht nur für ein freundliches „Vielen Dank, hat mich sehr gefreut“. Leistung nur noch gegen eine Bewertung. Quid pro quo. So machen es die anderen doch auch …

Und an dieser Stelle ist die letzte Zahl der Kombination bei mir eingerastet, und die Safetür hat sich geöffnet.

Denn nein, ich will das alles nicht.

Ich will keine Geschichte schreiben, nur weil das Thema gerade im Kommen oder bereits am Laufen ist und gut bezahlt wird. Ich will nicht zu denen gehören, die in den sozialen Medien nur noch um sich selbst kreisend „hier mein Buch“ und „da meine Lesung“ schreien. Ich will nicht meine Mitmenschen in nützlich und entbehrlich unterteilen.

Es gibt Kollegen, die können das. Die können sich verkaufen. Sie sind die geboren Entertainer, die überall eine gute Figur machen. Die Mentoren und Förderer anziehen, wie Motten das Licht und auch Lesezeichen verkaufen und sich vor eine Kamera stellen können. Und wenn der Agent sagt „mit ScienceFiction werden wir keinen Erfolg haben, aber 14. Jahrhundert ist gerade sehr gesucht“ – dann bereitet ihnen das keine Probleme. Dann schreiben sie einen historischen Roman und den sogar gut und erfolgreich. Weil sie so sind. Ich bewundere diese Kollegen. Aber das bin nicht ich.

Denn ich will MEINE Geschichten schreiben über Figuren, die mir wichtig sind – egal wie krumm und sperrig und unkonventionell sie sein mögen. Und unabhängig davon, ob ich als Frau mit dem Thema eine Chance habe. Und ich schätze meine Agentin, weil sie mich genau das tun lässt. Auch wenn die Verlage mir nicht die Tür einrennen und die Vorschüsse überschaubar bleiben. Denn das sind die Geschichten, die direkt aus meinem Kopf, meinem Bauch, meinem Herzen kommen. Könnte ich anders arbeiten? Nein.

Ich will offen bleiben in alle Richtungen. Ich will, dass alle, mit denen ich umgehe, sicher sein können, dass ich sie nach Sympathie beurteile und nicht nach ihrem Nutzen für meine Karriere. Ich möchte helfen und unterstützen ohne Gegenleistungen zu erwarten oder gar zu fordern. Weil ich das gern tue, sofern es mir möglich ist.

Ich will Mensch sein. Aufrichtig. Verlässlich. Respektvoll. Frei. Und so will ich auch Autorin sein und schreiben.

Ich müsste vieles ändern in meinem Leben, weit mehr als nur die Haarfarbe. Für das bisschen mögliche Sichtbarkeit? Denn Garantien gibt es keine. Und wen würde ich dann morgens im Spiegel sehen? Welche Kunstfigur?

Nein.

Und das ist meine Erkenntnis des Tages:

Das ist nicht mein Weg. Ich bleibe ich. Auch wenn es dann mit der Sichtbarkeit nicht klappt. Der Preis ist mir eindeutig zu hoch.

 

Herzliche Grüße,

Yvonne.

 

PS: Wer kann mir sagen, was auf dem Bild zu sehen ist? 😉

15 Kommentare

    1. YveW

      Richtig, Angelika. Und manchmal muss man sich eben entscheiden, wenn man nicht beides (Marktkonformität/-gängigkeit, wie auch immer man ein breitenwirksames Thema nennen mag, einerseits und das eigene Innere andererseits) unter einen Hut bringt. Mir persönlich war es wichtig zu erkennen, dass ich a die Entscheidungsmöglichkeit habe. Und b wo ich meine Priorität setze. Das hat mir in der Situation sehr geholfen. Ebenso die vielen Rückmeldungen, die mir gezeigt haben, dass ich nicht allein scheinbar unerkannt herumlaufe. 🙂 Danke für deinen Kommentar!

    1. YveW

      Ja, erstaunlich wer alles dazugehört. 😉 Aber hey, lass uns einfach anstoßen – auf das Schreiben und auf das Leben. Und so lange wir unseren aufrechten Gang nicht verlieren – ob mit Buckel, humpelnd oder ganz langsam in winzigen Schritten – können wir uns, egal was sonst läuft, immer noch in die Augen sehen. 🙂

  1. Liebe Yvonne, die gut getarnte Kröte, um auf deine Frage zu antworten. Danke für den Text und darf ich dir jetzt was sagen: Gerade weil du das schreibst, was du willst, sind deine Bücher für mich ganz wunderbare Bücher, die was zum Klingen bringen. Und gerade weil du du bist, mag ich dich nur über Facebook und glaube, dass ich dir im wirklichem Leben die Tür einrennen würde oder das Motorrad vor deiner Tür parken. Dir einen guten Tag.

    1. YveW

      Moin Uwe,

      ich halte das Tierchen eher für einen Frosch. Oder eine Kröte (manche hier haben von Erdkröte gesprochen, zoologisch bin ich nicht ausreichend gebildet 😉 ). Aber in jedem Fall ist es sehr gut getarnt.
      Dir noch einen schönen Tag und danke für deinen Beitrag!

    1. YveW

      Dann herzlich willkommen, Susanne!
      Ich kann mich nur wiederholen: Es ist erschreckend, wieviele Kollegen dieses Problem trifft. Und mich ganz persönlich erschreckt außerdem das WER. Kreuz und quer durch alle Genres. Und sogar jemand wie du, die zwei bis drei Romane im Jahr veröffentlicht. Allesamt wunderbare, warmherzige Geschichten, um die sich doch die Leser reißen müssten.
      Puh.
      Mich macht es irgendwie fertig.
      Auch wenn es nicht das schlechteste Gefühl ist, mit dem Tarnkappensyndrom nicht allein dazustehen. Und wer mir alles dabei Gesellschaft leistet, tröstet mich auch. Wenigstens ein bisschen.

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